- Welt der Wunder Redaktion
- 7.03.2016
Die Entführung
r in Kunduz. Laut damaligem Verteidigungsminister Franz Josef Jung gab es konkrete Hinweise auf einen geplanten Anschlag der Taliban gegen die deutsche Bundeswehr. Als ein Soldat Oberst Klein am frühen Abend über die Entführung informierte, beauftragte dieser einen B-1-Bomber (ein Langstrecken-Flugzeug der US Air Force) damit, den Tanklastwagen zu suchen und einen Lagebericht zu liefern.
Um nicht von der Polizei oder der Regierungsarmee entdeckt zu werden, entschieden sich die Taliban dazu, Nebenstraßen zu benutzen. Diese waren allerdings völlig ungeeignet für die schweren Tanklaster – sie blieben in einer Sandbank stecken. Kurz nach Mitternacht entdeckte der Bomber die zwei Fahrzeuge und übertrug die Kamerabilder zu Oberst Klein in die Einsatzzentrale. Dutzende Menschen rotteten sich um die Laster. Ein Informant bestätigte, vier Taliban-Führer seien identifiziert und die meisten der anwesenden Personen bewaffnet. Pick-ups fuhren heran, die Benzin abzapften. Etwa, um es schnell für einen Anschlag zum deutschen Feldlager zu schaffen?
Ein folgenschwerer Befehl
Als der Pilot ankündigte, er müsse den Bomber zur Luftbetankung abziehen, geriet Klein unter Druck. Um den Sichtkontakt zu halten und eine Überlegenheit zu garantieren, musste er wieder Unterstützung aus der Luft anfordern: zwei Kampfbomber. Doch diese rücken nur in äußerst brenzligen Situationen an – und so griff Klein zu einer Lüge: Er meldete einen TIC (Troops in Contact), eine Gefechtssituation, in der sich zwei feindliche Truppen gegenüber stehen. Mit Erfolg. Die Kampfbomber flogen an und die Piloten warteten auf Befehle. Es gab zwei Möglichkeiten: einen Tiefflug (Show of Force), um die Menschen einzuschüchtern und zu vertreiben oder einen direkten Angriff. Klein musste reagieren.
Und das tat er: Um 1:49 Uhr nachts gab der Oberst den Befehl, die beiden Bomben abzuwerfen. Was Klein zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Die meisten der über 100 Personen waren Zivilisten aus umliegenden Dörfern, die sich Benzin aus den Tanks abzapften. Eine Minute nach Freigabe durch Klein schlugen die Bomben zwischen den Tanklastern ein. Die Angaben zu den Opferzahlen sind bis heute strittig. Nach Nato-Einschätzungen wurden 142 Menschen bei dem Luftangriff verletzt oder getötet.
Das Einmaleins der Kriegsgebiete
Wiederaufbau wich Zerstörung
„Nach bestem Wissen und Gewissen“
Viele seiner Kameraden und Untergebenen lernten Oberst Klein als besonnenen, zugänglichen Offizier kennen, als „Mensch durch und durch“, wie es ein ihm ehemals untergebener Hauptfeldwebel formulierte. Bevor er eine Entscheidung traf, wog er alle Konsequenzen ab, arbeitete akribisch an Alternativen, falls nötig. Dass so ein Mann eine derart katastrophale Entscheidung traf, ohne jemand anderen um Rat zu fragen, schien nahezu absurd. Er hätte den militärischen Rechtsbeistand oder seinen Vorgesetzten, Brigardegeneral Vollmer, konsultieren können. „Wozu?“, entgegnete Klein damals. Keiner hätte ein vollständigeres Lagebild gehabt als er selbst.
Klein war zu jedem Zeitpunkt bewusst, dass er die Verantwortung für das Leben von 1.000 deutschen Soldaten trug. Um ihr Leben zu schützen, war er bereit ein hohes Risiko einzugehen – mit entsprechenden Konsequenzen. Franz Josef Jung nahm ihn in Schutz: „Oberst Klein hat gehandelt, um unsere Soldaten zu schützen“. Jungs Nachfolger zu Guttenberg zeigt für die Entscheidung zwar ebenfalls Verständnis, als er sagte, Klein habe „nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt“ – doch sei das Vorgehen militärisch nicht angemessen gewesen.
Deutscher Kriegseinsatz in Afghanistan
Neun Monate nach dem Luftschlag urteilte die Bundesanwaltschaft: Die Bombardierung der Tanklaster war verhältnismäßig – Oberst Klein gilt als entlastet von dem Vorwurf des Mordes an Zivilisten. Dabei stützte sich die Bundesanwaltschaft vor allem auf das Argument, Klein habe zu keinem Zeitpunkt mit der Anwesenheit von Zivilisten gerechnet. Bislang hat die deutsche Bundeswehr eine halbe Million Dollar an alle Hinterbliebenen der Opfer gezahlt (Stand: Dez 2013).
Die Bombardierung hatte zur Folge, dass die Legende um den Stabilitätseinsatz der Bundeswehr, bei dem eigentlich Brunnen gebohrt und Schulen gebaut werden sollten, wie ein Kartenhaus in sich zusammen fiel. Zum ersten Mal sprach die Bundesregierung von einem deutschen Kriegseinsatz in Afghanistan. 2016 sollen die deutschen Soldaten endlich abgezogen werden. Wird an dem Plan tatsächlich festgehalten, könnte damit endlich das dunkle Kapitel im Nahen Osten beendet sein.
- Welt der Wunder Redaktion
- 7.03.2016