Seit Jahren kämpft Richard Evans einen fast aussichtslosen Kampf: Der Historiker will die Geschichte neu schreiben – oder besser gesagt, die Lücken der vergangenen 150 Jahre füllen. Tatsächlich gibt es allein in der Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute Tausende weiße Flecken. Dabei ist es nicht so, dass die fehlenden Puzzleteile nicht existierten. Sie sind nur für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. In den USA verstauben mehr als 50 Millionen Akten in den Bundesarchiven der Geheimdienste. Die Hintergründe zum Mord an US-Präsident John F. Kennedy, die Einsatzberichte zur „Operation Neptune’s Spear“, bei der Osama Bin Laden getötet wurde, die Verwicklungen von US-Regierungen in brutale Revolutionen – zu all diesen Ereignissen lagern in den Geheimarchiven der USA Hunderte laufende Kilometer Akten. Überall auf der Welt halten Geheimdienste brisante Dokumente, aktuelle Dossiers und Depeschen zurück: Was passiert, wenn in einem Land der Europäischen Union eine Revolution ausbricht? Was ist wirklich die Aufgabe der NSA? Auf all diese Fragen gibt es Antworten – nur wird dieses Wissen meist zensiert, zumindest für 99,9 Prozent der Bevölkerung. Aber warum halten Regierungen und Geheimdienste historische Beweise und aktuelle Lageberichte zurück? Was ist der Grund dafür, dass sie den Nebel über der Geschichte (und der Gegenwart) nicht lichten wollen, obwohl sie es könnten?
„Die Wahrheit kann auch eine Keule sein, mit der man andere erschlägt.“Anatole France, Schriftsteller
Tatsächlich ist die Wahrheit genau diese unberechenbare Waffe, deretwegen Regierungen mit allen Mitteln verhindern, dass bestimmte Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Was passiert, wenn die Geheimhaltung ein Leck bekommt, zeigt sich an vielen Beispielen der Geschichte: US-Präsident Richard Nixon und der Watergate-Skandal, Bundeskanzler Willy Brandt und die Guillaume-Affäre – beide Politiker traten aufgrund von Enthüllungen vom Amt zurück, und die Geheimhaltung der Akten sollte in erster Linie Beteiligte und Informanten schützen. Andere Dossiers zeugen von der Zusammenarbeit von Regierungen mit Terroristen, sie beweisen die wahren Absichten von Herrschern oder verraten kriminelle Machenschaften.
Welche Akten noch immer geheim sind
Wie scharf oder stumpf die Waffe Wahrheit ist, hängt vor allem von dem Faktor Zeit ab, das begründet auch die jahrzehntelangen Sperrfristen. Dabei gilt die Faustregel: Je länger das Ereignis zurückliegt, desto harmloser ist die Wahrheit für die Betroffenen. Dass Adolf Hitlers Stammbaum längst nicht so „reinrassig“ und „gesund“ war, wie er es selbst von allen Deutschen forderte, diese Enthüllung hätte 1941 ein ganzes System zum Einsturz bringen können. 20 Jahre danach, als dieses Detail herauskam, hatte es jedoch keine Auswirkungen mehr auf die Geschichte. Oder dass Frankreich in den 1950er-Jahren Hunderte Soldaten bei Atombombentests in den Tod schickte: Diese Wahrheit hätte damals wohl die gesamte politische Führung Frankreichs das Amt gekostet. Doch sie kam 30 Jahre später ans Licht der Öffentlichkeit – als alle Verantwortlichen längst gestorben waren. Es sind Fälle wie diese, deretwegen Historiker wie Richard Evans eine Verkürzung der Sperrfrist von Geheimakten fordern. Dafür macht sich auch sein deutscher Amtskollege Josef Foschepoth stark. „Die staatliche Geheimhaltung von historischen Vorgängen hat System. Dahinter steckt letztlich die Missachtung der Bürgerrechte.“Josef Foschepoth, Historiker
Was passieren kann, wenn Sperrfristen umgangen werden und Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, die
eigentlich der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegen und aktuelle Regierungen betreffen, das zeigt derzeit Americas Most Wanted, der neue Staatsfeind Nr. 1 der USA: Edward Snowden. Der ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes NSA ist im Besitz eines ganzen Arsenals an verbotenem Wissen. Genauer gesagt: 1,7 Millionen Dateien, die als topsecret eingestuft sind. Und eben deren Inhalte macht der 30-Jährige der Weltöffentlichkeit zugänglich. Die Folge ist ein politisches Megabeben, dessen Auswirkungen noch andauern. Die Geschichte schlägt einen neuen Weg ein. Einen, der ohne diese Enthüllungen nie beschritten worden wäre. Experten sind sogar überzeugt: Snowdens bisherige Veröffentlichungen sind nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich hat er bereits weitere Enthüllungen angekündigt. Und diese haben offensichtlich hochexplosive Inhalte. Entsprechend hat der Whistleblower (von engl.: to blow the whistle (dt.: durch die Trillerpfeife blasen); gemeint ist ein Insider, der skandalöse Informationen nach außen gibt) Hunderte Morddrohungen erhalten. Glaubt man jedoch Winston Churchill, wäre ein Mord an Snowden vergebens. Denn bisher hat die Geschichte gezeigt: Je größer ein Geheimnis ist, desto mehr Mitwisser gibt es. Und je mehr Menschen die Wahrheit kennen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer sie ausspricht.
Worauf wir noch gefasst sein müssen
Welt der Wunder hat nachgehakt und ein Dossier des verbotenen Wissens zusammengestellt, dessen Inhalte jahrelang für die Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Zudem werden neue Enthüllungen präsentiert und damit weitere Lücken in der Geschichtsschreibung gefüllt. Und es wird erklärt, auf welche Wahrheiten wir noch gefasst sein müssen. Und warum sie uns bis heute verschwiegen werden …